mei 15, 2024

Die wahre Geschichte eines Gebrauchtwagens steht nicht im Kaufvertrag, sondern verbirgt sich in seinen Papieren.

  • Die Zulassungsbescheinigung Teil II ist der einzige Eigentumsnachweis – sie gehört in den Tresor, nicht ins Auto.
  • Die Kombination aus HU-Berichten, Service-Einträgen und alten Rechnungen ist der beste Lügendetektor für den Kilometerstand.

Empfehlung: Betrachten Sie jedes Dokument als Puzzleteil und prüfen Sie die gesamte Akte auf Widersprüche, bevor Sie unterschreiben.

Der Kauf eines Gebrauchtwagens ist ein Akt des Vertrauens, aber vor allem ein Akt der Prüfung. Während der Glanz des Lacks und der Geruch des Innenraums die Sinne ansprechen, liegt die ungeschminkte Wahrheit über das Fahrzeugleben nicht in der Karosserie, sondern in einem Stapel Papier. Viele Käufer begehen den Fehler, die Dokumente nur oberflächlich zu sichten. Sie prüfen die Gültigkeit der Hauptuntersuchung (HU) und werfen einen flüchtigen Blick auf das Serviceheft. Doch dies ist, als würde man ein Buch nur nach seinem Umschlag beurteilen.

Die wahre Expertise zeigt sich in der Fähigkeit, diese Dokumente nicht als einzelne Formulare, sondern als eine zusammenhängende Akte zu lesen – die Akte des Autos. Es geht darum, eine forensische Analyse durchzuführen, bei der jedes Dokument, von der Zulassungsbescheinigung bis zur kleinsten Werkstattrechnung, ein Beweismittel ist. Die eigentliche Frage ist nicht: „Sind die Papiere vorhanden?“, sondern: „Erzählen diese Papiere eine in sich schlüssige und plausible Geschichte?“ Widersprüche in dieser Akte sind die roten Flaggen, die Sie vor einem teuren Fehler bewahren können.

Dieser Leitfaden verfolgt daher einen anderen Ansatz. Wir werden die Fahrzeugpapiere nicht als Checkliste abarbeiten, sondern sie wie ein Ermittler verhören. Wir zeigen Ihnen, wie Sie aus der bürokratischen Lupe eine Waffe gegen Täuschung schmieden und die Puzzleteile zu einem lückenlosen Bild der Fahrzeughistorie zusammensetzen. Von der korrekten Interpretation der Halteranzahl über die Entlarvung gefälschter Scheckhefte bis zur forensischen Kilometerstand-Prüfung – Sie lernen, die Sprache der Dokumente zu sprechen und die verborgene Wahrheit zu extrahieren.

Dieser Artikel führt Sie systematisch durch die einzelnen Bestandteile der „Akte des Autos“. Jeder Abschnitt ist einem entscheidenden Dokument oder einer Prüfmethode gewidmet, um Ihnen das Rüstzeug für eine fundierte und sichere Kaufentscheidung an die Hand zu geben.

Brief und Schein: Warum Sie die Zulassungsbescheinigung Teil II niemals im Auto lassen dürfen

Die grundlegendsten Dokumente eines jeden Fahrzeugs in Deutschland sind die Zulassungsbescheinigungen Teil I und Teil II. Laienhaft werden sie oft als „Fahrzeugschein“ und „Fahrzeugbrief“ bezeichnet. Ihre korrekte Handhabung und ihr Verständnis sind die absolute Basis jeder Fahrzeugprüfung. Die Zulassungsbescheinigung Teil I (Fahrzeugschein) ist der offizielle Nachweis, dass das Fahrzeug für den Straßenverkehr zugelassen ist. Sie enthält technische Daten sowie Name und Anschrift des aktuellen Halters und muss bei jeder Fahrt mitgeführt werden.

Die Zulassungsbescheinigung Teil II (Fahrzeugbrief) hingegen ist das entscheidende Dokument, das den Eigentümer des Fahrzeugs legitimiert. Wer den Brief besitzt, gilt rechtlich als Eigentümer. Aus diesem Grund ist es ein Kardinalfehler, dieses Dokument im Fahrzeug aufzubewahren. Ein Dieb, der Auto und Brief entwendet, hat leichtes Spiel, das Fahrzeug weiterzuverkaufen. Der Fahrzeugbrief gehört sicher an einen Ort außerhalb des Autos, idealerweise in einen Tresor zu Hause. Bei finanzierten Fahrzeugen wird er üblicherweise von der Bank als Sicherheit einbehalten.

Die digitale Transformation macht auch vor der Fahrzeugverwaltung nicht halt. Dieses Bild symbolisiert den Übergang von traditionellen Papierdokumenten zur modernen, digitalen Verwaltung.

Moderne Darstellung digitaler Fahrzeugdokumente auf Smartphone mit Sicherheitselementen

Wie eine offizielle Mitteilung der Bundesregierung bestätigt, können deutsche Autofahrer seit Ende 2025 ihren Fahrzeugschein auch digital in der sogenannten i-Kfz-App mitführen. Laut Bundesverkehrsminister vereinfacht diese digitale Lösung den Alltag, jedoch ist die Nutzung an die aktivierte Online-Ausweisfunktion gekoppelt. Aktuell haben nur rund 35 Prozent der Deutschen diese Funktion freigeschaltet, was die Verbreitung einschränkt. Zudem ist zu beachten, dass der digitale Nachweis vorerst nur in Deutschland gültig ist.

Die Halter-Historie: Wie Sie die Anzahl der Vorbesitzer korrekt deuten und was sie bedeutet

Die Anzahl der Vorbesitzer, vermerkt in der Zulassungsbescheinigung Teil II, ist eine der am häufigsten genannten, aber auch am häufigsten falsch interpretierten Kennzahlen beim Gebrauchtwagenkauf. Eine hohe Anzahl muss nicht zwangsläufig schlecht sein, während eine geringe Anzahl keine Garantie für ein gutes Fahrzeug darstellt. Die Kunst liegt darin, nicht nur die Zahl zu sehen, sondern die Art und Dauer der Haltung zu analysieren. Ein Fahrzeug mit vier Vorbesitzern in zehn Jahren, die jeweils für 2-3 Jahre gehalten wurden, kann unproblematischer sein als ein Auto mit nur zwei Vorbesitzern in zwei Jahren.

Kurze Haltedauern sind oft ein Warnsignal. Wurde ein Fahrzeug nach wenigen Monaten wieder verkauft, könnte ein versteckter Mangel der Grund sein, den der vorherige Besitzer schnell loswerden wollte. Umgekehrt kann ein Langzeitbesitzer, der das Fahrzeug über fünf oder mehr Jahre gefahren hat, ein Indiz für Zufriedenheit und gute Pflege sein. Besondere Vorsicht ist bei einer Mischung aus Firmenwagen und Kurzzeithaltern geboten. Während Firmenwagen oft scheckheftgepflegt sind, weisen sie meist eine hohe Laufleistung auf, was den Verschleiß erhöht.

Die folgende Tabelle, basierend auf Analysen des ADAC, bietet eine erste Orientierung zur Risikobewertung verschiedener Halter-Typologien. Sie dient als Werkzeug für Ihre Plausibilitätsprüfung.

Vorbesitzer-Typologie und ihre Bedeutung
Vorbesitzer-Typ Typische Merkmale Risikobewertung
Tageszulassung 0-1 Tag Haltedauer, meist Händler Niedrig – Rabatt-Taktik
Firmenwagen/Leasing 2-3 Jahre, regelmäßige Wartung Mittel – hohe Laufleistung
Kurzzeithalter Unter 1 Jahr Haltedauer Hoch – mögliche Probleme
Langzeit-Liebhaber Über 5 Jahre, oft gepflegt Niedrig – gute Pflege wahrscheinlich

Bestehen Zweifel an den Angaben des Verkäufers oder der Dokumente, bietet das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) eine offizielle Möglichkeit der Verifizierung. Mit einem nachgewiesenen “berechtigten Interesse”, wie einer Kaufabsicht, können Sie eine Auskunft aus dem Zentralen Fahrzeugregister (ZFZR) beantragen. Diese liefert die komplette, anonymisierte Halterhistorie und ist das schärfste Schwert zur Überprüfung der Fakten.

Das TÜV-Protokoll als Lupe: Was der HU-Bericht über den wahren Zustand des Autos verrät

Der Bericht der letzten Hauptuntersuchung (HU), umgangssprachlich TÜV-Bericht, ist für viele Käufer das wichtigste Dokument nach dem Fahrzeugbrief. Eine frische HU-Plakette suggeriert technische Einwandfreiheit für die nächsten zwei Jahre. Dies ist jedoch ein gefährlicher Trugschluss. Der HU-Bericht ist kein Garantiezertifikat, sondern eine Momentaufnahme der Verkehrssicherheit zum Prüfzeitpunkt. Seine wahre Aussagekraft entfaltet er erst bei einer genauen, fast schon misstrauischen Lektüre.

Achten Sie zunächst auf die Klassifizierung der festgestellten Mängel. “Keine Mängel” ist der Idealfall. “Geringe Mängel” (GM), wie ein beginnender Steinschlag außerhalb des Sichtfelds oder leichte Korrosion am Auspuff, müssen zwar vom Halter “unverzüglich” behoben werden, verhindern die Zuteilung der Plakette aber nicht. Hier beginnt die Interpretation: Welche dieser Mängel könnten sich zu teuren Reparaturen entwickeln? “Erhebliche Mängel” (EM) führen zum Nichtbestehen der HU und müssen vor einer Nachprüfung behoben werden. Finden Sie einen alten Bericht mit erheblichen Mängeln, fordern Sie unbedingt die dazugehörigen Reparaturrechnungen an.

Eine professionelle Inspektion, wie sie bei der HU durchgeführt wird, offenbart oft Probleme, die für Laien unsichtbar bleiben, insbesondere am Unterboden oder an der Bremsanlage.

Professionelle Fahrzeuginspektion mit Fokus auf technische Details und Prüfpunkte

Der Teufel steckt im Detail und in den Formulierungen. Ein Hinweis wie “Korrosion im Anfangsstadium” ist eine klare Warnung, dass in naher Zukunft Handlungsbedarf besteht. Der Vermerk “Bremsbeläge an der Verschleißgrenze” bedeutet, dass eine teure Reparatur unmittelbar bevorsteht. Ein sauberer, mängelfreier Bericht ist positiv, doch erst die Sammlung und der Vergleich mehrerer alter HU-Berichte decken die wahre technische Geschichte des Fahrzeugs auf.

Das COC-Papier: Warum dieses Dokument beim Autokauf wichtiger ist, als Sie denken

Das COC-Papier (Certificate of Conformity), auf Deutsch EWG-Übereinstimmungsbescheinigung, ist das “Geburtsdokument” eines Fahrzeugs auf europäischer Ebene. Es bescheinigt, dass das Fahrzeug einem genehmigten Typ entspricht und alle EU-Normen erfüllt. Für in Deutschland erstzugelassene Fahrzeuge ist es oft nur ein weiteres Blatt Papier in der Bordmappe. Seine entscheidende Bedeutung entfaltet es jedoch bei Import- oder Re-Import-Fahrzeugen. Ohne dieses Dokument ist eine Zulassung in Deutschland kompliziert und teuer.

Das COC-Papier listet alle technischen Merkmale, von den Abgaswerten bis zu den zulässigen Rad-Reifen-Kombinationen. Fehlt dieses Dokument bei einem EU-Import, muss der Käufer es beim Hersteller neu beantragen. Wie der ADAC feststellt, ist dies mit Kosten verbunden. Die Gebühr für die Ausstellung von COC-Papieren liegt je nach Hersteller zwischen 70 und 180 Euro, kann in Einzelfällen aber auch deutlich höher ausfallen. Diese Kosten sollten beim Kaufpreis berücksichtigt werden.

Besondere Vorsicht ist bei sogenannten Re-Importen geboten. Dies sind Fahrzeuge, die ursprünglich für ein anderes EU-Land produziert, dort aber nie zugelassen, sondern direkt zurück nach Deutschland importiert wurden, um Preisvorteile zu nutzen. Das COC-Papier ist hier unerlässlich, um die exakte Ausstattung zu verifizieren, die von der deutschen Serienausstattung abweichen kann. Zudem gelten oft andere Garantiebedingungen. Fehlt das COC-Papier bei einem Fahrzeug, insbesondere bei einem Import aus einem Nicht-EU-Land, ist der Weg zur Zulassung ein sogenanntes Vollgutachten nach §21 der StVZO.

Ihr Plan zur Erlangung einer Einzelbetriebserlaubnis: Vollgutachten nach §21 StVZO

  1. Prüfung der Typgenehmigung: Klären Sie, ob für das Fahrzeugmodell grundsätzlich eine EU-Typgenehmigung existiert (bei den meisten Nicht-EU-Importen nicht der Fall).
  2. Kontaktaufnahme mit Sachverständigen: Wenden Sie sich an eine amtlich anerkannte Prüforganisation (z.B. TÜV, DEKRA).
  3. Beauftragung des Gutachtens: Erteilen Sie den Auftrag für ein Vollgutachten zur Erlangung einer Einzelbetriebserlaubnis.
  4. Erstellung der technischen Beschreibung: Der Sachverständige erstellt eine umfassende technische Beschreibung des Fahrzeugs gemäß den Anforderungen des §21 StVZO.
  5. Zulassung mit Gutachten: Legen Sie das erstellte Gutachten bei der Zulassungsstelle vor. Beachten Sie die erheblichen Kosten, die je nach Fahrzeugtyp zwischen 300 und über 1.000 Euro liegen können.

Das Scheckheft-Verhör: Woran Sie ein echtes von einem gefälschten Serviceheft unterscheiden

Das Serviceheft, oft als “scheckheftgepflegt” beworben, gilt als Beleg für eine lückenlose Wartungshistorie. Doch gerade weil es einen so hohen Stellenwert besitzt, ist es auch ein beliebtes Ziel für Fälschungen und Manipulationen. Ein makelloses Scheckheft darf niemals blindlings akzeptiert werden. Es muss einem regelrechten “Scheckheft-Verhör” unterzogen werden, um seine Echtheit zu validieren. Ein gefälschtes Heft kann einen schlecht gewarteten Wagen als Perle tarnen.

Die forensische Prüfung beginnt bei den Werkstattstempeln. Sehen alle Stempel über einen Zeitraum von mehreren Jahren identisch aus? Haben sie den gleichen Abnutzungsgrad und die gleiche Farbintensität? Dies ist ein starkes Indiz dafür, dass sie zur gleichen Zeit mit demselben Stempelkissen gemacht wurden. Prüfen Sie die eingetragenen Werkstätten: Existieren die Telefonnummern und Adressen noch? Ein kurzer Anruf bei zwei bis drei der eingetragenen Werkstätten mit der Bitte um Bestätigung des Serviceeintrags (unter Angabe von Datum und Kilometerstand) ist der effektivste Echtheitstest.

Moderne Fahrzeuge von Herstellern wie BMW, Mercedes, Audi oder VW verfügen über ein Digitales Service Buch (DSB). Bestehen Sie darauf, einen Ausdruck oder Einblick in diesen digitalen Nachweis zu erhalten, da dieser kaum zu fälschen ist. Die rechtliche Bedeutung des Begriffs “scheckheftgepflegt” ist ebenfalls entscheidend, wie der ADAC betont:

Die Aussage ‘scheckheftgepflegt’ heißt nicht, dass alle Wartungsarbeiten gemacht wurden. Kaufen Sie ein Auto vom Händler und fehlt das Original-Scheckheft, muss der Händler darauf hinweisen, sonst liegt ein Mangel vor.

– ADAC, ADAC Gebrauchtwagen-Ratgeber

Der wichtigste Schritt ist jedoch das Kreuzverhör: Passen die Kilometerstände und Daten im Serviceheft zu den Einträgen auf den HU-Berichten und alten Werkstattrechnungen? Jede Abweichung ist ein Alarmsignal und muss lückenlos vom Verkäufer erklärt werden.

Das TÜV-Protokoll als Lupe: Was der HU-Bericht über den wahren Zustand des Autos verrät

Nachdem wir die Grundlagen des HU-Berichts verstanden haben, widmen wir uns nun der forensischen Tiefenanalyse. Ein einzelner, aktueller Bericht ist von begrenztem Wert. Die wahre Kunst besteht darin, eine lückenlose Kette von HU-Berichten der letzten Jahre zu sammeln und diese vergleichend zu analysieren. Diese Kette ist ein unbestechlicher Zeitstrahl des Fahrzeugzustands und ein mächtiges Werkzeug gegen Tachomanipulation. Jeder seriöse Verkäufer sollte in der Lage sein, diese Dokumente vorzulegen. Fehlen sie, ist höchste Vorsicht geboten.

Legen Sie die Berichte chronologisch nebeneinander. Verfolgen Sie die Entwicklung von Mängeln. Wurde ein “beginnender Rostansatz” im Bericht von 2021 im Bericht von 2023 nicht mehr erwähnt? Fordern Sie die Reparaturrechnung für die Beseitigung. Taucht derselbe geringe Mangel, z.B. “Motor ölfeucht”, über mehrere Prüfungen hinweg immer wieder auf? Dies deutet auf ein chronisches Problem hin, das nie fachgerecht behoben wurde. Ein solches Muster entlarvt ein Fahrzeug, bei dem nur die nötigsten Reparaturen für das Bestehen der HU durchgeführt wurden.

Der Abgleich der Kilometerstände ist der kritischste Schritt. Notieren Sie den Kilometerstand von jedem einzelnen HU-Bericht. Ergibt die Abfolge eine plausible, stetig steigende Linie? Ein plötzlicher, geringer Anstieg zwischen zwei Prüfungen kann auf eine längere Standzeit hindeuten, während ein sprunghafter Anstieg auf eine intensive Nutzungsphase (z.B. als Firmenwagen) schließen lässt. Jede Unstimmigkeit, insbesondere ein stagnierender oder gar rückläufiger Kilometerstand, ist ein massiver Hinweis auf eine mögliche Tachomanipulation und sollte zum sofortigen Abbruch der Verhandlungen führen.

Überprüfen Sie auch die Prüforganisation und den Stempel. Während TÜV und DEKRA am bekanntesten sind, sind auch GTÜ und KÜS anerkannte Überwachungsorganisationen. Eine schnelle Online-Recherche kann helfen, die Echtheit von Stempeln und Prüforten zu verifizieren. Stimmen Sie zudem stets die Fahrzeug-Identifikationsnummer (FIN) auf dem Bericht mit der FIN am Fahrzeug (meist an der Windschutzscheibe oder im Türholm) ab, um sicherzustellen, dass der Bericht auch wirklich zu diesem Auto gehört.

Die Papier-Spur: Wie Sie mit alten Rechnungen und TÜV-Berichten den Kilometerstand belegen

Die glaubwürdige Dokumentation des Kilometerstands ist die Achillesferse vieler Gebrauchtwagenverkäufe. Der Tachometer allein ist kein verlässlicher Indikator. Die einzig valide Methode zur Überprüfung ist die Rekonstruktion einer lückenlosen “Papier-Spur” – einer chronologischen Kette von Dokumenten, die jeweils Datum und Kilometerstand festhalten. Je mehr solcher Datenpunkte Sie finden, desto dichter wird das Beweisnetz und desto schwieriger wird es für einen manipulierten Wert, unentdeckt zu bleiben.

Die wichtigsten Bausteine dieser Papier-Spur sind, wie bereits erörtert, die alten HU-Berichte. Sie sind offizielle Dokumente, die den Kilometerstand zum Prüfzeitpunkt festhalten. Doch die Ermittlung geht weiter. Fordern Sie vom Verkäufer sämtliche verfügbaren Werkstattrechnungen. Jede Rechnung für eine Reparatur, eine Inspektion oder auch nur einen Reifenwechsel sollte einen Kilometerstand aufweisen. Diese Rechnungen füllen die Lücken zwischen den zweijährigen HU-Intervallen und ermöglichen eine viel genauere Plausibilitätsprüfung.

Übersehen Sie auch nicht die kleinen, unscheinbaren Beweismittel. Ein Ölwechsel-Anhänger im Motorraum oder ein Aufkleber vom letzten Reifenwechsel im Türholm kann den entscheidenden Kilometerstand enthalten, der eine Manipulation entlarvt. Stellen Sie sich vor, der Tacho zeigt 85.000 km, aber der Ölwechsel-Anhänger empfiehlt den nächsten Service bei 105.000 km, basierend auf einem Wechsel bei 90.000 km. In diesem Moment haben Sie einen handfesten Beweis für eine Manipulation.

Tragen Sie alle gefundenen Datenpunkte – aus HU-Berichten, Serviceheft, Rechnungen und Aufklebern – in eine einfache Tabelle mit zwei Spalten ein: Datum und Kilometerstand. Sortieren Sie diese chronologisch. Prüfen Sie nun die Progression. Ist der Anstieg der Kilometer über die Zeit logisch? Passt die jährliche Fahrleistung zum Halterprofil (z.B. ca. 12.000 km/Jahr für einen privaten Benziner, über 20.000 km/Jahr für einen Diesel-Firmenwagen)? Jede Anomalie in dieser Zeitreihe muss vom Verkäufer plausibel erklärt werden können.

Das Wichtigste in Kürze

  • Eigentum und Zulassung trennen: Die Zulassungsbescheinigung Teil II (Fahrzeugbrief) ist der Eigentumsnachweis und gehört niemals ins Auto, sondern an einen sicheren Ort.
  • Kreuzverhör der Dokumente: Kein Dokument steht für sich allein. Die Plausibilität ergibt sich aus dem Abgleich von HU-Berichten, Serviceheft, Rechnungen und Halterhistorie.
  • Kilometerstand als Erzählung: Der wahre Kilometerstand wird nicht vom Tacho bewiesen, sondern durch eine lückenlose Kette von Belegen (die “Papier-Spur”), die eine logische Historie erzählen.

Die Kilometer-Wahrheit: Eine forensische Methode zur Überprüfung des Tachostands

Die Manipulation des Kilometerstands ist kein Kavaliersdelikt, sondern eine der häufigsten und teuersten Betrugsmaschen auf dem Gebrauchtwagenmarkt. Sie suggeriert einen besseren Zustand und rechtfertigt einen höheren Preis. Schätzungen zufolge ist die Kilometeranzeige bei einem erheblichen Teil der Fahrzeuge manipuliert. Eine Studie legt nahe, dass bei etwa 30% der Gebrauchtwagen in Deutschland der Kilometerzähler zurückgedreht wurde. Diese Zahl verdeutlicht die Dringlichkeit einer systematischen und misstrauischen Prüfung.

Nachdem die Papier-Spur zusammengetragen wurde, folgt die finale Plausibilitätsprüfung. Diese Methode kombiniert die dokumentarischen Beweise mit einer visuellen Inspektion des Fahrzeugverschleißes. Ein niedriger Kilometerstand muss zum Gesamtzustand des Fahrzeugs passen. Abgenutzte Pedalgummis, ein speckiges Lenkrad, ein durchgesessener Fahrersitz oder ein abgegriffener Schaltsack bei einem Fahrzeug mit angeblich nur 60.000 km sind massive Widersprüche.

Die folgende Matrix systematisiert diese Plausibilitätsprüfung. Sie dient als forensisches Werkzeug, um dokumentarische Fakten mit physischen Verschleißindikatoren abzugleichen und verdächtige Abweichungen aufzudecken.

Plausibilitäts-Matrix zur Kilometerstands-Prüfung
Prüfquelle Zu prüfende Werte Verdächtige Abweichung
HU-Berichte Km-Stand bei jeder HU Rückläufige oder stagnierende Werte
Ölwechsel-Anhänger Km + Datum auf Aufkleber Höherer Stand als aktueller Tacho
Durchschnittswerte 12.000 km/Jahr (Benzin), 20.000 km/Jahr (Diesel) Deutlich darunter bei älteren Fahrzeugen
Verschleiß-Check Pedale, Lenkrad, Schaltsack, Fahrersitz Starke Abnutzung bei niedrigem Km-Stand
Schwellenwerte 79.000-99.000 km Besonders kritisch prüfen (psychologische Grenze)

Der Nachweis einer Tachomanipulation hat erhebliche rechtliche Konsequenzen. Gemäß § 22b des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) ist die Manipulation strafbar. Ein betrogener Käufer hat weitreichende Rechte. Wie Rechtsexperten bestätigen, kann der Käufer vom Kaufvertrag zurücktreten und Schadensersatz fordern. Durch die Manipulation wird der Fahrzeugwert durchschnittlich um 3.000 Euro künstlich erhöht, was sich in Deutschland zu einem jährlichen Gesamtschaden von über sechs Milliarden Euro summiert. Im Streitfall ist ein Gutachten eines Sachverständigen oft das entscheidende Beweismittel.

Wenden Sie diese forensische Methodik bei Ihrem nächsten Gebrauchtwagenkauf konsequent an. Die sorgfältige Prüfung der „Akte des Autos“ ist der einzige Weg, um finanzielle Risiken zu minimieren und eine auf Fakten basierende, sichere Entscheidung zu treffen.

Frank Hoffmann, Frank Hoffmann ist ein ehemaliger Polizeihauptkommissar im Verkehrsdienst und heute als freiberuflicher Fahrsicherheitstrainer tätig, mit insgesamt 30 Jahren Erfahrung im Bereich der Unfallprävention.